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Sieben letzte Worte Jesu am Kreuz - Sieben Sterne in der Nacht – Mittwoch - Stern des GlaubensGedanken dazu von Pfr. Matthias Hörning

Stern des Glaubens
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen."

 

„Der Todesschrei Jesu im Markusevangelium, […] ist kein Ruf des Vertrauens oder gar des Sieges, sondern ein Schrei menschlicher Verzweiflung. Jesus stirbt nicht nur von den Menschen allein gelassen, er stirbt im Empfinden, sogar von Gott verlassen zu sein. Mit einem lauten Aufschrei des körperlichen und seelischen Schmerzes scheidet er aus dem irdischen Leben.“

Zugegeben: Jesus wird nach Markus in den letzten Stunden seines Lebens scheinbar kein Trost zuteil: Kein Engel stärkt ihn auf dem Ölberg (wie bei Lk), kein Jünger begleitet ihn bis unter das Kreuz (wie bei Joh), sie alle haben ihn verlassen, buchstäblich um ihr nacktes Leben laufend, auch die Frauen - von seiner Mutter ist bei Markus gar nicht die Rede - schauen nur aus weiter Entfernung zu, selbst die Männer, die mit ihm das Schicksal der Kreuzigung teilen, beschimpfen ihn. Finsternis legt sich über das ganze Land: kein Glanz, kein Trost scheint über seinem Leiden und Sterben zu liegen.

Aber stimmt dieser erste Eindruck? Stirbt Jesus wirklich von Gott verlassen? Ist Jesus in seiner letzten Stunde wirklich an seinem Glauben irregeworden? 

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?

Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; Ich rufe bei Nacht, und finde doch keine Ruhe.

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, der Leute Spott, vom Volk verachtet.

Alle, die mich sehen, verachten mich, verziehen die Lippen, schütteln den Kopf:

 

Er wälze die Last auf den Herrn, der soll ihn befreien! Der reiße ihn heraus, wenn er Gefallen an ihm hat."

Meine Kehle ist trocken wie eine Scherbe, die Zunge klebt mir am Gaumen, du legst mich in den Staub des Todes.

 

Viele Hunde umlagern mich, eine Rotte von Bösen umkreist mich, sie durchbohren mir Hände und Füße.

Man kann alle meine Knochen zählen; sie gaffen und weiden sich an mir.

Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen

„Der Todesschrei Jesu im Markusevangelium, […] ist kein Ruf des Vertrauens oder gar des Sieges, sondern ein Schrei menschlicher Verzweiflung. Jesus stirbt nicht nur von den Menschen allein gelassen, er stirbt im Empfinden, sogar von Gott verlassen zu sein. Mit einem lauten Aufschrei des körperlichen und seelischen Schmerzes scheidet er aus dem irdischen Leben.“

 

Zugegeben: Jesus wird nach Markus in den letzten Stunden seines Lebens Scheinbar kein Trost zuteil: Kein Engel stärkt ihn auf dem Ölberg (wie bei Lk), kein Jünger begleitet ihn bis unter das Kreuz (wie bei Joh), sie alle haben ihn verlassen, buchstäblich um ihr nacktes Leben laufend, auch die Frauen - von seiner Mutter ist bei Markus gar nicht die Rede - schauen nur aus weiter Entfernung zu, selbst die Männer, die mit ihm das Schicksal der Kreuzigung teilen, beschimpfen ihn. Finsternis legt sich über das ganze Land: kein Glanz, kein Trost scheint über seinem Leiden und Sterben zu liegen.

Aber stimmt dieser erste Eindruck? Stirbt Jesus wirklich von Gott verlassen? Ist Jesus in seiner letzten Stunde wirklich an seinem Glauben irregeworden?

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,Es ist das Wort, das Jesus auch in unsere Angst vor der Verlassenheit und dem Verlassenwerden hinein spricht, um sie zu verwandeln.

Die Angst vor dem Verlassenwerden ist eine Urangst, die wir alle kennen. Jeder von uns wird verlassen - durch den Tod von Menschen, die ihm viel bedeuten. Und oft genug erfahren wir auch Verlassenwerden durch Menschen, die sich von uns abwenden.

Es gehört wohl für uns Menschen zum Schlimmsten, wenn wir uns von allen im Stich gelassen fühlen. 

Kommt zu der Erfahrung, von lieben Menschen alleingelassen zu sein, noch das Gefühl, von Gott verlassen zu sein. Dann wird es ganz dunkel in der Seele. Dann scheint Gott uns fern.

Bei einer Not in der Familie oder Ehe, beim Hören der Diagnose im Arztzimmer, am Kranken- und Sterbebett.
Und immer die Erkenntnis, dass keiner helfen kann – oder will – und wir waren ganz auf Gott geworfen und begannen vielleicht an ihm zu zweifeln? Kamen wir uns hilflos und verlassen vor.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Mit diesen Worten stellt sich Jesus auf unsere Seite; er erlebt Verlassenheit und Gottesferne wie wir. Zu seiner Menschwerdung, zu seiner Solidarität mit uns Menschen gehört auch diese Etappe seines Lebens.

Für uns kann sie zum Trost werden, wenn uns ähnliches widerfährt. Wenn alles in mir stumm und dürr ist, dann darf auch ich glauben: In jedem Dunkel, in das ich hineingeraten kann, ist Jesus schon vor mir da.

Mein Gott mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Dieser laute Schrei Jesu am Kreuz hat seit jeher die Theologen beunruhigt. Wie kann Jesus, der Sohn Gottes, sich von Gott verlassen fühlen?

Hat sich Jesus nicht nur von seinen Jüngern verlassen gefühlt, sondern auch von Gott?

Tatsache ist: Gott hat nicht eingegriffen in das mörderische Handeln der Hohenpriester und der Römer.

Markus und Matthäus, die uns diesen Verlassenheitsschrei Jesu überliefern, schildern uns die Passion Jesu, als ob Gott abwesend wäre. Gott greift nicht ein. Es hat den Anschein, als überließe er seinen Sohn den Händen der Sünder. 

Doch mitten in dieser scheinbaren Abwesenheit Gottes wendet sich Jesus an Gott. Auch wenn er keinen Boden unter seinen Füßen spürt, so weiß er sich in der Bodenlosigkeit seiner Verlassenheit doch von Gott getragen. Das Wort Jesu von der Verlassenheit ist, der erste Vers des Psalms 22, in dem der Beter mit seiner Verzweiflung ringt, sich zuletzt aber doch in ein abgrundtiefes Vertrauen hinein betet. Da heißt es nach der Klage: 

4 Aber du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.

5 Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.

6 Zu dir schrien sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.

...

23 Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen:

24 Rühmet den HERRN, die ihr ihn fürchtet; ehrt ihn, all ihr Nachkommen Jakobs, und scheut euch vor ihm, all ihr Nachkommen Israels!

25 Denn er hat nicht verachtet noch verschmäht das Elend des Armen und sein Antlitz vor ihm nicht verborgen; und da er zu ihm schrie, hörte er's.

Wenn ich mir vorstelle, dass Jesus den ganzen Psalm 22 am Kreuz rezitiert hat, dann geht mir das Geheimnis seines Sterbens neu auf,

Am Kreuz hat Jesus all seine Not Gott hingehalten, aber er hat an Gott festgehalten. Er hat auch seine Verlassenheit vor Gott ausgedrückt.

Aber in seiner Verlassenheit wusste er sich von Gott gehört und angenommen.

So mündet Jesu Verlassenheit in ein tiefes Vertrauen, in den Glauben, dass Gott zu Jesus stehen wird und dass er auch im Tod von Gott umfangen bleibt. Die Gewissheit bleibt, dass sein Tod, in dem er seine Liebe bis zuletzt durchhält, zur Heilstat wird für die Menschheit.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. 

Wenn selbst Jesus sich für einen Augenblick am Kreuz verlassen fühlt und diese innere Not seinem Vater mit lauter Stimme entgegenschreit, dann lädt er uns damit ein, unsere eigene Angst und Verlassenheit nicht zu überspringen, sondern zuzulassen.

Seine eigene Erfahrung der Gottesferne, die sich während des Betens in Glauben und Vertrauen wandelt, möchte auch unsere Angst in die Gewissheit wandeln, dass Gott uns nicht verlässt.

Jesu Worte lehren uns: Beten braucht auch die Klage und Anklage. Nur wenn wir den Mut aufbringen, Gott gegenüber unsere Klage herauszuschreien, wird sich unsere Verlassenheit wandeln und Jesu Worte werden uns zum Stern des Glaubens.

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